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Nur zwei Dinge sind unendlich, das Weltall und die menschliche Dummheit*

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*Albert Einstein, der dem Spruch noch hinzufügte: „…Beim Weltall bin ich mir aber nicht ganz sicher.“

Auf dem Planeten X hat sich herum gesprochen, dass es auf der Erde vermutlich intelligentes Leben gibt. Die Xianer schicken also ein Raumschiff auf die Erde, um diese Lebensform zu untersuchen. Und weil das für biologische Wesen einfach ein existenzielles Thema ist, beschäftigen sie sich erstmal mit unserer Ernährung. Die Xianer stellen fest, dass Menschen einen geradezu ungeheuerlichen Aufwand bei der Produktion von Lebensmitteln betreiben. Merkwürdigerweise aber auch bei deren Vernichtung. Außerdem beobachten sie, dass die Erdlinge ihr Essen unermüdlich tagein, tagaus auf dem ganzen Planeten hin und her transportieren – mit Schiffen, Flugzeugen, Lastwägen und Mülltransportern. Sie nennen das „Essen auf Rädern“.

Genau genommen sind die Außerirdischen inzwischen ziemlich verwirrt: Dass diese eigentümlichen Erdenbewohner viel Zeit, Aufwand und Arbeitskraft in die Produktion ihrer Lebensmittel investieren, will ihnen ja noch einleuchten. Aber warum verschleudern sie dabei so viele kostbare Ressourcen wie Wasser und Energie? Warum schütten sie Gift auf ihre Felder und wozu produzieren sie tonnenweise Treibhausgase? Und das alles nur, um anschließend Unmengen an Zeit, Aufwand und Arbeitskraft in die Entsorgung dieser Lebensmittel und die Reparatur des Planeten zu investieren?

Die Lastwägen befördern das Essen von der Produktionsstätte in große Zwischenlager. Dort wird es bis zum täglichen Abtransport durch Müllfahrzeuge in Regalen aufgebahrt. Die Erdlinge begeben sich in diese Einrichtungen und unterziehen die Produkte dort zunächst einem optischen Scan. Braune Punkte oder Druckstellen führen zur negativen Selektion. Oft werden sie dem Produkt aber auch erst durch den anschließend erfolgenden manuellen Drucktest beigebracht. Die Xianer stehen vor großen Rätseln.

Werden die Zwischenlager abends geschlossen, ist das Lebensmittel plötzlich kein Lebensmittel mehr, sondern ein Abfallprodukt. Obwohl es nach eingehenden Untersuchungen in den Labors der Besucher vom Planeten X eindeutig für essbar und qualitativ hochwertig befunden wurde. Es ist selbst dann ein Abfallprodukt, wenn es erst fünf Minuten vor Ladenschluss frisch hergestellt wurde. Nach den Berechnungen der Xianer wird auf diese Weise in einer irdischen Großstadt jeden Tag genau soviel Brot weggeworfen, wie in einer irdischen Kleinstadt täglich konsumiert wird. Die Außerirdischen vermuten, dass es sich dabei um religiöse Opferrituale handeln könnte. Anders können sie sich das Verhalten der Menschen nicht erklären. Was sich die Entdeckungsreisenden aber überhaupt gar nicht erklären können: Warum wird das Brot in der irdischen Großstadt auch dann weggeworfen, wenn die Kleinstadt gar kein Brot zum Konsumieren hat? Warum nur bringen die Erdlinge nicht einfach das Essen auf Rädern in jene Städte, in denen Menschen verhungern, anstatt es zu vernichten?

Schließlich sind sich die Besucher vom Planeten X einig: Eine Lebensform, die nicht mit Lebensmitteln umgehen kann, kann unmöglich intelligent genug sein, um zu überleben. Das war soweit nichts Neues für die Xianer – Lebensformen kommen und gehen. Und so brachen sie wieder auf in die unendlichen Weiten des Universums, um neue Welten zu erforschen.

Die Autorin Christine Kammerer, geb. 1962, freie Journalistin, Politologin M. A., Heilpraktikerin (Psychotherapie) und grad. Kunsttherapeutin (BVPPT). Quelle:„Raum & Zeit“, Nr. 172 Juli/August 2011, S.110

Zeitschrift Welt-Spirale 10/2011